
In meiner Praxis als Paartherapeutin begegne ich immer wieder Menschen, die genau wissen, dass ihre Beziehung sie belastet und ihnen nicht gut tut – und dennoch bleiben sie.
Sie bleiben, obwohl sie wenig Liebe spüren, obwohl sie sich nicht gesehen fühlen, obwohl sie wissen, dass eine Zukunft so nicht mehr gestaltet werden kann. Und oft geht es nicht darum, ob man gehen könnte, sondern warum man nicht geht – obwohl man gehen will.
In diesem Blog-Beitrag möchte ich dieses Warum beleuchten: Welche emotionalen, psychologischen und systemischen Kräfte halten uns fest — warum fällt es so schwer, die Trennung umzusetzen.
Viele Paare kommen in die Beratung und sagen Dinge wie:
„Ich fühle mich seit Monaten nicht mehr verbunden“
„Ich weiß, dass wir uns auseinandergelebt haben“
„Ich sehe, wir streiten ständig – und doch ändert sich nichts“.
Dann stehen wir gemeinsam vor der Frage: Warum bleibt jemand – wenn doch klar ist, dass die Beziehung keine Entwicklung mehr zulässt?
Fachlich wissen wir: Forscher haben herausgefunden, dass Menschen im Prozess „Bleiben oder Gehen“ viele Gründe abwägen – nicht nur rational, sondern vor allem emotional (Psychologie Heute). Ein zentraler Befund: Emotionale Nähe, geteilte Investitionen (Zeit, Gefühle, Lebensumstände), familiäre Verpflichtungen – all das spricht fürs Bleiben (Psychologie Heute).
Diese Gründe helfen zu erklären, warum Menschen nicht sofort handeln, auch wenn sie wissen: „So kann es nicht weitergehen.“
a) Angst vor dem Alleinsein
Eine sehr häufige Erklärung: „Was, wenn ich nach der Trennung völlig allein dastehe?“ Manche Menschen bleiben lieber in einer belastenden Beziehung, als sich dem Ungewissen zu stellen. Die Angst, keinen neue/n Partner/in zu finden, ausgeliefert zu sein, sich selbst überschätzen zu müssen – all das wirkt enorm hemmend.
Manche Menschen haben das "Allein sein" in einem Abschnitt ihres Lebens so belastend und vielleicht auch hilflos erlebt, dass sie intuitiv alles versuchen, um diesen Zustand nie wieder zu erleben.
b) Investitionen und der „Sunk-Cost-Effekt“
Wir alle haben schon viel investiert: Zeit, Energie, Gefühle, Gedanken, manchmal gemeinsame Wohnung, Kinder, Freundeskreis. Dieser Aufwand erzeugt ein Gefühl: „Ich habe schon so viel gegeben – wäre das dann umsonst gewesen?“
Auch wenn die Relation längst verloren gegangen ist, bleibt oft dieses Gefühl hängen: Ich darf das nicht einfach wegwerfen.
c) Pflichtgefühl, Gewohnheit, soziale Bindung
Man bleibt aus Gewohnheit – weil man sich eingerichtet hat. Oder aus Pflichtgefühl: gegenüber Kindern, gegenüber Freund*innen, gegenüber der Familie. Oder weil das gemeinsame Leben so eng verknüpft ist, dass „einfach gehen“ gar nicht so einfach aussieht. (DIE WELT)
Gewohnte Abläufe, gemeinsamer Alltag, Vertrautheit – all das hat eine beruhigende Wirkung, auch wenn sie nicht mehr erfüllt.
d) Bindungsängste, Selbstwertthemen, Kindheitserfahrungen
Erfahrungen aus der Kindheit oder frühe Beziehungstraumen beeinflussen, wie wir heute sehen, loslassen oder nicht. Wenn jemand gelernt hat, dass Verlassenwerden schmerzhaft war oder dass Nähe unberechenbar ist, kann Trennung zur „Wiederholung“ dieses Schmerzes werden.
Ebenfalls: Ein geringes Selbstwertgefühl kann dazu führen, dass jemand denkt: „Ich habe das nicht verdient, dass es besser wird“, „Ich finde niemanden, der mich anders sieht“.
Aus meiner Praxis sehe ich mehrere typische Mechanismen:
Gedankenkreisen und Verfahrzustand: Menschen denken über die Trennung nach, wägen ab, reden mit Freund*innen, überlegen noch „einmal zu kämpfen“. Doch der Schritt bleibt aus. Forschung nennt das einen „Kreislauf des Nicht-Entscheidens“.
Hoffnung auf Veränderung: Auch wenn die Beziehung schlecht läuft, es gibt gute Momente, Erinnerungen, Hoffnungen, dass es noch werden kann. Diese Hoffnung bindet.
Praktische Hürden: Wohnung, Finanzen, Kinder, gemeinsames Umfeld – all das macht den Schritt so viel schwieriger. Selbst wenn das Gefühl sagt „Ich will gehen“, sagt das Leben „Aber wie?“
Unklare Grenzen: Manche bleiben „halb in der Beziehung“, engagieren sich noch, sind noch emotional involviert – und verwehren sich so den Raum für echten Abschied.
Scham- und Schuldgefühle: Man fürchtet, jemanden zu enttäuschen, jemanden zu verletzen oder selbst als „Versager“ dazustehen. Alles Dinge, die erstmal herunterspielen, was eigentlich los ist.
Ambivalenz: Der Mensch fühlt zugleich: „Ich will raus“ und „Ich kann nicht raus“. Dieses Hin und Her erzeugt Stress, Unruhe und verlängert das Leiden.
Bindungsdynamik: Menschen sind nicht isoliert – sie sind Teil eines Systems. Partnerinnen, Kinder, Familie, gemeinsame Freundinnen – all das wirkt mit. Eine Entscheidung wie Trennung wirkt in dieses System hinein und birgt die "Gefahr", vieles oder alles zu verlieren.
Selbstwirksamkeit und Autonomie: Der Schritt „Ich gehe“ setzt voraus: Ich habe handlungsfähige Gestaltungsmöglichkeiten. Fehlt das Gefühl von Kontrolle, bleibt man. Hier spielt z. B. das Konzept der „Differenzierung des Selbst“ eine Rolle – wie stark jemand Emotion und Rationalität, Nähe und Autonomie ausbalancieren kann. Dies ist ein häufiger Inhalt von Therapie und wird zum Beispiel in der Arbeit mit inneren Anteilen genau erarbeitet.
Übergangs- und Trauerprozess: Eine Trennung ist nicht nur ein Schluss – sie ist ein Prozess des Abschieds, Trauerns, Loslassens und Neuerorientierens. Wer vor dem Austritt steht, muss oft zentral: die Verlustängste bearbeiten, das Selbst neu definieren, die Zukunft neu denken.
Wenn ich mit Klient*innen spreche, höre ich häufig solche Sätze:
„Ich bin müde… aber allein zu sein fühlt sich noch schlimmer an.“
„Ich weiß, dass wir nicht das sind, was wir mal waren – trotzdem habe ich Angst, es einfach zu beenden.“
„Ich halte durch, weil wir zusammen angefangen haben – und ich will nicht das Gefühl haben, ich hab aufgegeben.“
„Wenn ich gehe, verliere ich nicht nur ihn – ich verliere auch das Leben, das wir aufgebaut haben.“
Diese Gefühle sind hoch-emotional und oft sehr ambivalent: Liebe und Ärger, Hoffnung und Resignation, Verbundenheit und Fremdheit. In der Therapie geht es darum, diese Ambivalenz sichtbar zu machen und mit ihr zu arbeiten. Es braucht einen Umgang mit den eigenen verankerten Verhaltensweisen und Glaubenssätzen.
In meiner Rolle als Paartherapeutin sehe ich: Nicht jede Trennung ist notwendig, aber jede Beziehung sollte klar erfragt werden: Gibt es Perspektive? Veränderungsbereitschaft? Respekt und Sicherheit? Wenn nicht, dann kann eine Trennung der liebevollste Schritt sein – für beide Beteiligten.
Ein paar fachlich fundierte Hinweise:
Entscheidung: Klarheit darüber, dass gehen nicht nur eine Option, sondern der sinnvolle Schritt ist.
Gestaltung: Plan für danach – Wie will ich leben? Wer bin ich allein? Welche Netzwerke habe ich? Welche Unterstützung brauche ich?
In der Praxis arbeite ich mit Paaren und Einzelpersonen – und rate: Stelle dir begleitende Fragen:
Ich möchte noch einmal auf die Hürden schauen, die sich in Beratung häufig zeigen – und wie wir in der Begleitung damit arbeiten:
Diffuse Gefühle: Die Person spürt „Etwas stimmt nicht“, aber nicht klar „Ich will gehen“. Eine klare Entscheidung fehlt – und ohne klare Entscheidung bleibt der Appell „Ich sollte gehen“ im Schwebe.
Praktische Unsicherheiten: Finanzen, Wohnung, Kinder, Freundeskreis – wenn diese Faktoren ungeklärt sind, wird der Schritt heraus dringend. In Therapie unterstütze ich dabei, „Schritt für Schritt“ zu denken: Was kann ich als Erstes tun?
Systemische Verstrickungen: Kinder, gemeinsame Wohnung, Familienroutinen – hier geht es nicht nur um zwei Personen, sondern um ein Geflecht. Eine Beratung hilft, diese Dynamiken sichtbar zu machen und Wege zu entwickeln.
Nicht bearbeitete Vergangenheit: Wenn frühere Bindungstraumen, Ängste vor Verlassenwerden oder Verlustängste wirken, blockieren sie den Schritt hinaus. In der Therapie heißt das: Wir schauen nicht nur auf das Paar, sondern oft auch auf die individuelle Geschichte.
Zwischen-Zustand: Manche Menschen verharren in einem Zustand, in dem sie „innerlich schon gegangen“ sind, aber äußerlich bleiben. Das ist oft besonders schmerzhaft – sowohl für sie selbst als auch für den/die Partner/in. In meiner Praxis sprechen wir dann von „Beziehung im Stillstand“ – eine Variante von bleiben, bei der schon das Ende im Kopf stattfindet, aber nicht im außen.
Da du vielleicht selbst mit solchen Geschichten arbeitest oder betroffen bist — hier ein paar Impulse, die ich aus meiner Praxis mitgebe:
Selbst-Reflexion: Nimm dir Zeit, in Stille zu gehen – wie fühlt sich bleiben an, wie fühlt sich gehen vor? Versuche, die Emotionen zu benennen und schreibe deine Gedanken auf. Du kannst dir deine Worte auch selbst laut vorlesen. Denn was wir aussprechen, wird real und lässt sich weniger verdrängen oder ignorieren.
Own Voice hören: Nicht nur die Stimme des Partners, des Umfelds, der Gewohnheiten – sondern deine eigene Stimme: Was sagt dein Herz, was sagt dein Körper? Hast du vielleicht schon körperliche Symptome die deinen Stress oder die Zerrissenheit wiederspiegeln?
Kleine Schritte planen: Eine Trennung muss nicht über Nacht erfolgen. Arbeite mit Etappen: Gespräche führen, Wohnsituation prüfen, mögliche Unterstützung einholen.
Unterstützungsnetzwerk aktivieren: Ob Freundinnen, Therapeutinnen, Coachings – du brauchst Menschen, die nicht mitreden, sondern mitfühlen, begleiten, stabilisieren.
Sich Zeit geben für das Trauern: Eine Beziehung loslassen heißt nicht: einfach „weghauen und neufangen“. Nein – es braucht Raum für Verlust, für Abschied, für Neuanfang.
Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen: Gerade wenn Ängste, Traumata, Selbstwertprobleme mitspielen, kann eine (Einzel- oder Paar-)Therapie sehr hilfreich sein.
In den Jahren meiner Arbeit als Paartherapeutin habe ich gesehen: Trennung ist kein einfacher Schritt – aber manchmal der ehrlichste.
Warum fällt es so schwer?
Weil bleiben heißt: Festhalten, erinnern, hoffen, investieren.
Gehen heißt: Loslassen, vertrauen, neu beginnen.
Beides kostet Energie. Und doch kann gehen einen Weg in die Freiheit, in die Selbst-Verantwortung und in die Lebendigkeit eröffnen.
Vielleicht stehst du gerade an dieser Schwelle – wissend, dass etwas nicht mehr stimmt, aber spürend, wie schwer der Schritt hinaus wäre. Dann lade ich dich ein: Blick mutig darauf, was dich hält und was dich weiterträgt. Gib dir die Erlaubnis, die Entscheidung zu treffen – und dir dabei von Menschen helfen zu lassen.
Ich wünsche dir ganz viele klare und bewusste Gedanken.
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